Lesebühne Kreis mit Berg

Noch eine Welle

Bei uns fing es, glaube ich, bei einer Nachbarin im Nebenhaus an. Dann wurde die erste Partei aus unserem Haus damit infiziert, und schon ragten zwei neue Hochbeete empor. Inzwischen gibt es in unserem Hinterhofgarten acht Hochbeete. Die Inzidenz liegt derzeit bei einem Hochbeet pro Woche. Kein Wunder, dass die Holzpreise in die Höhe schießen. In einer Übersprungshandlung - wenn Kneipen und Kinos zu haben - bauen die Menschen Hochbeete, um die Leere ihres Lebens zu bepflanzen. Geht das so weiter, sieht man bald den Garten vor lauter Hochbeeten nicht mehr. Eine stille Gartenkatastrophe, deren Folgen noch nicht abzusehen sind. Na ja, fast still. Ich gucke von unserem Balkon auf den Nachbarn herab, weil er mit dem Akkuschrauber – sirr sirr sirr - eine Schraube nach der anderen in die Bretter quält, die das Hochbeet bedeuten. Wenn es fertig ist, sieht es aus wie ein Schrank von Ikea. Also nicht gut. Seine Frau zeigt ihm, wo das neue Hochbeet hin soll. Ihre Paar-zelle hat die Grundfläche eines Wohnzimmers und wird auch genauso enden. Kein Baum, kein Strauch, aber schon drei Gewächsmöbel. Dazu würde noch eine Sitzlandschaft gut passen.
Früher, manche erinnern sich vielleicht, gab es mal Beete unten auf der Erde. Offenbar ist das uncool geworden, so ein Flachbeet. Man muss sich hin und wieder bücken, um ans Flachbeet zu gelangen. Das ist unbequem. Das fühlt sich nicht an wie Lifestyle, sondern wie Feldarbeit, und die machen Menschen aus Rumänien. Das Hochbeet dagegen ist das zeitgemäße Konzept des „high age gardenings“. Alters- und bandscheibengerecht kann man noch mit neunzig seine Radieschen ziehen, kurz bevor man sie sich dann von unten ansieht.
Innen wird das Hochbeet mit Plastefolie ausgekleidet und mit Humuserde aus dem Baumarkt befüllt. Dafür türmen sich in den Gärten ganze Barrikaden von Erdsäcken, als wolle man sich verschanzen gegen vorrückende Preußen. Manche füllen das Hochbeet auch noch mit Pflanzenabfällen auf, aber wer weiß das schon so genau. Reichsbürger können in ihren Hochbeeten geheime Waffenlager einrichten und die arabischen Clans unter den Küchenkräutern ein Drogendepot. Das Hochbeet von unserem Nachbarn gegenüber hat die Ausmaße eines ägyptischen Sarkophags. Wenn ich in der Stadt eine Leiche verschwinden lassen wollte, wüsste ich jedenfalls wo. Bei der Verrottung entsteht Wärme und es werden Nährstoffe freigesetzt. Das dürfte gut fürs Wachstum sein. 

Ist das Hochbeet soweit fertig, kann es auch schon losgehen mit dem Gärtnern. Mit etwas Glück sind in ein paar Wochen die ersten Früchte reif. Sie werten den kargen Speiseplan des Städters auf, der seiner vom Skorbut gezeichneten Familie endliche etwas Frisches darreichen kann. Nur schwach lässt sich die Freude ermessen, wenn blasse, schwache Kinderhändchen nach den vermurkelten Erdbeeren greifen, um sie gierig in den Mund zu schieben. Nichts schmeckt so gut wie das, was man mit seinen eigenen Händen gepflanzt hat, sagt sich der Gärtner in einem Anfall von kulinarischem Stockholmsyndrom, wenn er beherzt ins verwurmte Radieschen beißt.
Ich weiß schon, es geht wahrscheinlich nicht um das Ergebnis, sondern um den Weg dorthin. Um das Tun, das man nicht lassen kann, und schon haben wir den Salat. Oder die Zucchini, groß wie der Unterschenkel eines Sumoringers. Wohin damit? Wer soll das alles zu sich nehmen? Der höfliche Gärtner, der es auch nicht mehr zwingt, befüllt damit die Biotonne. Die anderen verschenken das an naive Leute, denen sie einreden konnten, das sei viel besser als das doofe Supermarktgemüse. Wer schonmal darauf reingefallen ist, weiß, die Schale von ergärtnerter Zucchini ist hart wie Kruppstahl. Auch das Kerngehäuse hat seine Bezeichnung verdient. Da sind Kerne drin, während sie beim Supermarktgemüse einfach weggezüchtet worden sind. Dabei sind Kerne so gesund!
Manch einer hat es vielleicht schon ein bisschen herausgehört, ganz überzeugt bin ich vom Hochbeet nicht. Könnte natürlich auch daran liegen, dass ich mich für Pflanzen überhaupt nicht interessiere. Schön, dass es sie gibt und gut, dass sie wachsen, keine Frage. Eine Welt ohne Pflanzen wäre sicherlich um einiges ärmer. Aber keine Pflanze braucht zum Wachsen ein Hochbeet. Und wer müsste am Ende das Hochbeet bei uns zusammenschrauben? Ich kann also nur hoffen, dass meine katholische Blumenfreundin, die alle Pflanzen in unserem Garten liebevoll betreut, diese grüne Linie nicht überschreitet und sich weiterhin ganz klar gegen das Hochbeet abgrenzt wie Rainer Haseloff gegen die AFD. Ich weiß nämlich nicht, ob ich weiterhin mit einer Frau zusammenleben könnte, die ernsthaft Präferenzen hegt für Hochbeete.
Das Hochbeet kommt übrigens ursprünglich auch aus China. Ich glaube, noch mehr muss ich dazu nicht sagen.