Lesebühne Kreis mit Berg

Der Bart mit der Maske

Als Bartträger habe ich ein Problem. Die FFP2-Maske oder MP2-Maske, wie meine katholische Freundin sie aus unerfindlichen Gründen immer nennt, liegt nicht dicht genug am Gesicht wegen der Barthaare. Das reduziere laut Robert-Koch-Institut die Schutzwirkung der Maske beträchtlich. Als Hypochonder, der ab und zu unter die Menschen muß, beunruhigte mich das, also fragte ich meine Freundin:
„Wäre es schlimm, wenn ich mir den Bart abrasiere.“
„Nein gar nicht“, sagte sie, „ich würde dich höchstens
verlassen.“
Ich stand also vor der harten Entscheidung, mein Leben zu riskieren oder meine Freundin. Sie kennt mich ja nur mit Bart. Bis jetzt sind es 19 gemeinsame glückliche Bartjahre gewesen. Never change a loving Bartpaar. Denn wer weiß, was unter dem Bart ist, wird sie sich wohl denken. Er hat sich bestimmt nicht ohne Grund einen Bart wachsen lassen. Bartträger, so sagt der Volksmund schließlich, würden etwas verbergen. Und niemand kann mit Sicherheit sagen, ob Jenny Marx mit ihrem Karl zusammengeblieben wäre ohne seinen Bart?
Bereits seit 1997 trage ich einen Vollbart. Damit gehöre ich zur Bartavantgarde. Die Hipster trugen da noch Milchbärte. Als Bartneuling benutzte ich anfangs den Bartschneider meines Vaters, wenn ich am Wochenende vom Studium nach Hause kam. Mein Vater war und ist, wie man sich jetzt sicher denken kann, auch Bartträger. Sonst bräuchte er ja keinen Bartschneider. Obwohl man sich damit auch andere Haare abschneiden könnte, was ich in diesem Fall jedoch ausschließen möchte. Noch viel früher sagte meine Mutter des Öfteren: Guck mal, was für ein kleines Kinn dein Vater hat, und bog seine Barthaare zur Seite. Das war lustig. Wir lachten. Außer mein Vater. Warum so humorlos? Kann doch nicht jeder ein Kirk-Douglas-Kinn haben. Aber meins wächst bestimmt noch, dachte ich, wenn ich es beim Zähneputzen im Badspiegel betrachtete.
Tja, ich erbte leider das fliehende Kleinkinn meines Vaters. Außerdem hatte ich seit meiner Geburt einen großen roten Fleck von der Wange bis zum Kinn, ein sogenanntes Feuermal, mit anderen Worten, ich habe das perfekte Bartgesicht.
Bei der Bundeswehr mußte ich mich allerdings noch jeden Tag rasieren, weil ich es versäumt hatte, mir vor Dienstantritt einen Vollbart wachsen zu lassen, der dann nämlich unter Bestandsschutz gestanden hätte. Neben der optischen Verbesserung sind Vollbärte auch unglaublich bequem. Man kann es wochenlang wachsen lassen. Und wenn man mal in eine Schlägerei gerät, sind Vollbärte sogar in der Lage einen Faustschlag abzubremsen, ähnlich wie ein Airbag. Das kann schon den Unterschied zum Kieferbruch ausmachen. Ein Vollbart ist außerdem nachhaltig und hilft beim Klimaschutz. Bart for Future! Glattrasierte Männer benötigen ständig irgendwelche Schersysteme mit mindestens fünffachen Präzisionstrimmerklingen. Nach ein paar Mal Gebrauch ist das reiner Sondermüll. Wer einen Bart hat, braucht überdies weder Lätzchen noch Serviette. Ein Bart ersetzt den Schal im Winter. Ein Bart kann in der Weihnachtszeit einen lukrativen Nebenverdienst ermöglichen. Ein Bart wird zum Vogelnest oder behütet verlassene Eichhörnchen. Und wenn man mal nichts zu Essen hat, birgt der Bart noch den einen oder anderen Happen. Kurzum ein Bart bedeutete Glück, Wohlstand und Zufriedenheit für alle, bis das Coronavirus kam. Nun trägt der Tod einen Bart.
Doch den Bart komplett abhobeln, geht wirklich nicht. Es mußte eine Lösung her, die weniger radikal ist und trotzdem genauso wirksam. Und dann kam ich auf die Idee, für die ich das Urhobelrecht erhebe und die vielen Bartträgern das Leben retten wird: Die maskengerechte Bartschneise. 

Für eine Straße durch den Wald fällt man die Bäume auch nur dort, wo die Straße lang soll bzw. der Maskenrand auf dem Gesicht liegt. Um herauszufinden, wo die circa 2 cm breite Bartschneise durch den Bart verlaufen muß, setze man sich einfach eine MP2 bzw. FFP 2 Maske auf und fahre mit einem dicken Edding am Maskenrand über den Bart. Diesen Markierungsstrich muß man dann freirasieren. Gesagt, rasiert.
Als ich meiner Freundin das Ergebnis präsentierte, hat sie prompt nach ein paar Stunden innerer Sammlung eine Zeichnung angefertigt, die ich dieser Kolumne beigefügt habe. Die Zeichnung versah sie mit den Worten: „Saver shopping! Die Pandemierasur: für alle Männer, die wirklich sicher sein wollen.“ Im ersten Moment dachte ich, sie wolle sich über mich lustig machen. Bis mir klar wurde, daß es ihre Art war, mich in meinem Vorhaben zu unterstützen. Offenbar liegt ihr immer noch etwas daran, daß ich nicht sterbe. Selbst wenn ich jetzt die wenigen Jahre bis zur meiner Impfung ziemlich bescheuert aussehe.